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Eichler, F. H./Peukert, W., Vertraulichkeit der Rechtsberatung durch Syndikusanwälte und EMRK, AnwBl 2002 at 189 et seq.

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Eichler, F. H./Peukert, W., Vertraulichkeit der Rechtsberatung durch Syndikusanwälte und EMRK, AnwBl 2002 at 189 et seq.
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Vertraulichkeit der Rechtsberatung durch Syndikusanwälte und EMRK

- Eine Studie zum Europäischen Kartellverfahrensrecht und zur Europäischen Menschenrechtskonvention -

[...]

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Das Argument der Abhängigkeit

Die Kommission hat ihren Standpunkt, dass sie Zugriff auf die Akten der Syndikusanwälte haben und diese jeden anderen Angestellten eines Unternehmens verhören will zunächst damit begründet, dass Syndikusanwälte an keine Berufsregeln gebunden seien und in einem Anstellungsverhältnis zu ihrem Unternehmen stehen und deshalb nicht "unabhängig" seien. Da sie den Weisungen des Unternehmens zu folgen hätten, könnten sie, benutzt werden, um Rechtsverstöße zu begehen und Dokumente solcher Verstöße zu verbergen18. Tatsächlich können in einigen Mitgliedstaaten z. B. Frankreich, Italien, Österreich, Unternehmensjuristen nicht zur Anwaltschaft zugelassen werden und sind deshalb auch dem nationalen Berufsrecht der Anwälte nicht unmittelbar unterworfen. Sie haben jedoch in praktisch allen Mitgliedsstaaten Verbände gebildet nach deren Satzung auch für sie die Berufsregeln der CCBE (Rat der Anwaltschaften der Europäischen Union) gelten.

Für Syndikusanwälte im Sinne der Richtlinie 77/249/EWG des Rates gilt natürlich ohnehin das jeweilige nationale Berufsrecht. Hauptargument der Kommission ist deshalb die angebliche Abhängigkeit der Syndikusanwälte von ihren Unternehmen.

Zunächst muss bezweifelt werden, dass Syndikusanwälte wegen ihres Anstellungsverhältnisses überhaupt weniger unabhängig bei der Erteilung von Rechtsrat und der Wahrung der berufsrechtlichen Pflichten sind als Anwälte mit eigener Praxis. Beide müssen die Verpflichtungen aus ihren jeweiligen Verträgen mit ihrem Auftraggeber erfüllen. Beide müssen innerhalb ihres Vertrages den Weisungen ihres Auftraggebers folgen. Weder dem Syndikusanwalt noch dem Anwalt in eigener Praxis ist es erlaubt, gegen Gesetze zu verstoßen oder bei solchem Verstoß behilflich zu sein19; auch kann keiner in dieser Hinsicht vertraglich gebunden sein, da eine solche vertragliche Verpflichtung nichtig wäre20. Beide sind den gleichen berufsrechtlichen Regeln unterworfen; beide gehen dasselbe Risiko für ihren beruflichen Status ein, wenn sie diese Regeln verletzen. Eine größere praktische Unabhängigkeit mag man - oberflächlich betrachtet - bei Anwälten mit eigener Praxis vermuten, da diese in der Regel mehrere Mandanten haben und sich nicht auf einen bestimmten Mandanten festgelegt haben. Das muss aber schon infrage gestellt werden, wenn es um Großmandate geht, die für wirtschaftliche Existenz einer Kanzlei wesentlich sind. Auch wird der Syndikusanwalt sehr zuverlässig durch seinen Arbeitsvertrag und das geltende Arbeitsrecht geschützt, wodurch seine Unabhängigkeit bei der Erteilung von Rechtsrat und der Wahrung der berufsrechtlichen Pflichten gesichert wird21.

Es kommt hinzu, dass viele Syndikusanwälte tatsächlich andere Mandanten außer ihrem Unternehmen haben. Nach einer Untersuchung aus dem Jahre 1998 beziehen die Syndikusanwälte in Deutschland ein statistisches Mittel von 15 % ihrer Einkünfte aus Mandaten von "anderen Auftraggebern"22. Auch kommt der Wechsel von Syndikusanwälten in eine Kanzlei in der Rechtsabteilung eines Unternehmens häufig vor und belegt, dass Syndikusanwälte und Anwälte mit eigener Kanzlei sich beruflich in einem einheitlichen Markt für anwaltliche Dienstleistungen bewegen.

Die Unabhängigkeit der Beamten ihres juristischen Dienstes stellt die Kommission nicht in Frage, betont sie192 vielmehr unter Hinweis auf ihre Unkündbarkeit. Aber sind nicht auch sie an die Weisungen ihrer Auftraggeber gebunden? Sind nicht auch sie bei voller Würdigung aller tatsächlichen Gegebenheiten praktischen, politischen und ökonomischen Zwängen und Versuchungen ausgesetzt, vor denen sie sich bewähren müssen?

Zum anderen muss nach der Relevanz des Kriteriums der arbeitsvertraglichen Bindung für die Frage der Zeugnisverweigerung und Beschlagnahmefreiheit von Dokumenten gefragt werden. Die Kommission hat hier zunächst unterstellt, dass Syndikusanwälte des anwaltlichen Berufsstatus missbrauchen könnten. Hierfür gibt es indessen keine Belege. Im Gegenteil bewiesen die bereits erwähnten Fälle "John Deere" und "Sabena", dass Syndikusanwälte auch in kritischer Situation ihrer Pflicht objektiver Rechtsberatung nachkommen. Auch eine Nachfrage bei der Generaldirektion Wettbewerb nach konkreten Vorfällen hat keine Missbräuche zutage geführt23. Sowohl der Generaldirektor Wettbewerb, Dr. Alexander Schaub24, als auch Kommissar Mario Monti25 haben inzwischen Ehrenerklärungen zugunsten der Syndikusanwälte abgegeben. Danach ist sich die Kommission der positiven Rolle der Syndikusanwälte bei der Verbesserung der Einhaltung der Wettbewerbsregeln wohl bewusst und zieht ihre Integrität und Redlichkeit nicht in Zweifel. Sie räumt auch ein, dass die Rolle der Syndikusanwälte an Bedeutung noch zunehmen wird. Denn nach der neuen Kartellverfahrensordnung müssen die Unternehmen selbst beurteilen und entscheiden, ob sie die Voraussetzungen einer Freistellung vom Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 3 erfüllen oder nicht und sie erhalten nicht mehr wie bisher hierzu eine Entscheidung der Kommission.

Die Anerkennung der so noch wichtiger gewordenen Rolle der Syndikusanwälte bei der Verhinderung von Wettbewerbsverstößen führt die Kommission allerdings nicht zu der Schlussfolgerung, dass die Vertraulichkeit des Beratungsverhältnisses zwischen Unternehmen und Syndikusanwalt zu schützen sei. Dabei könnte die rechtswahrende Rolle der Syndikusanwälte noch gestärkt un die Furcht vor etwaigen Missbräuchen gemindert werden, wenn die Kommission etwa eine Regelung einführen würde, wonach das "legal privilege" individuell entzogen werden kann, wenn ein Missbrauch festgestellt wurde. Ein solches Risiko für den Status als Rechtsberater wird kaum ein Anwalt oder Syndikusanwalt eingehen.

-full-text-end-

18Schreiben Nr. 716 vom 11.4.2000 des Kommissars Wettbewerb der Kommission, Mario Monti, an den Präsidenten der ECLA, Brüssel. Vgl. auch die Erklärung von Kommissar Monti am 5.9.2001 vor dem Europäischen Parlament, Sitzungsprotokoll v. 5.9.2001, S. 20.
19hierzu auch Dolmans, aaO., S. 131
20Vgl. Prütting in Hommerich/Prütting, aaO., S. 134.
21Für das deutsche Recht hierzu schon Sokuris, Die Diskriminierung des Syndikusanwalts (§ 46 BRAO) aus verfassungsrechtlicher Sicht, BB 1975, 1230 ff; siehe auch Prütting aaO., S. 44 - 46. Zur Frage der Unabhängigkeit der Syndikusanwälte in Deutschland sehr ausführlich auch Hassemer, Das Zeugnisverweigerungsrecht des Syndikusanwalts, WISTRA 1986, S. 1 - 17, hier insbes. 7 - 11; Hartung/ Holl, Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl. 2001, BRAO § 46 Rz. 9 - 11.
22Vgl. Hommerich in Hommerich/Prütting, aaO., S. 158, 164.
23Gespräch vom 19.1.2001 einer Delegation von Deutscher Anwaltverein (DAV) Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), Union of Industrial and Employers Confederation of Europe (UNICE) mit dem zuständigen Abteilungsleiter in der Generaldirektion Wettbewerb und seinen Beamten. Bei einem weiteren Gespräch des DAV mit dem Generaldirektor Wettbewerb am 10.12.2001 meinte dieser zwar, es komme immer wieder zu Missbräuchen, wollte aber nicht sagen, worin diese konkret bestehen.
24Siehe Brief Nr. 4154 vom 15.6.2001, hier heißt es wörtlich: "...Commissioner and the Commisions services are perfectly aware of the role of in-house-lawyers in improving compliance with competition rules and do not put the integrity and probity into question."
25Vor dem Europäischen Parlament anlässlich der Diskussion der Verordnungsentwurf zur Reform des europäischen Kartellverfahrensrechts. Allerdings hat Kommissar Monti zugleich erneut die angebliche Abhängigkeit der Syndikusanwälte als Grund für die Verweigerung von Zeugnisverweigerung und Beschlagnahmefreiheit genannt (Protokoll der Sitzung vom 5.9.2001 S. 20)

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