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Horn, Norbert, Das Recht der internationalen Anleihen, Frankfurt a.M. 1972

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Horn, Norbert, Das Recht der internationalen Anleihen, Frankfurt a.M. 1972
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Content

Das Recht der internationalen Anleihen

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Kapitel 2: Die Emissionsverträge

[...]

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§ 7: Zur Funktion der internationalen Emissionsverträge

I. Emissionsverträge als Organisationsinstrument

Die Emissionsverträge dienen dem Aufbau und der Regulierung eines komplexen Organisationsmechanismus; sie sind ein Spiegelbild dieses Mechanismus unter rechtlichem Aspekt. Wenn es zutreffend ist, daß jeder schuldrechtliche Vertrag zugleich ein Muster der Kooperation der Vertragsparteien enthält, so steht diese Eigenschaft bei den Emissionsverträgen im Vordergrund.

Die ausgeprägte Technizität des Emissionsrechts ist eine Eigenschaft, welche dieses Rechtsgebiet in gewisser Weise mit anderen Gebieten des Banken und Finanzrechts teilt. Emissionsrecht erhält seine Konturen und seine Stabilität von der Organisationstechnik, der es dient, nicht von Normen des Gesetzgebers, Grundsätzen der Rechtsprechung oder einer ausgebildeten Rechtsdogmatik, die gerade auf diesem Gebiet weithin fehlen. Die Vorteile der Technizität liegen in der Objektivierung der Beziehungen der Beteiligten, ihre Nachteile darin, daß spezifisch rechtliche Gesichtspunkte oft in den Hintergrund gedrängt werden.

Ein wichtiger Aspekt dieses organisationstechnischen Charakters der Emissionsverträge ist das Zeitmoment. Die Verträge regeln kurzfristig vorbereitete und rasch ablaufende Organisationsvorgänge. Dies wirkt sich allenthalben auf das Vertragsrecht aus. Erinnert sei etwa an die erörterte Technik des Vertragsschlusses im Zusammenspiel des Austauschs von Vertragstexten und Fernschreiben. Ferner müssen die Leistungen zu genau festgelegten Zeiten erfolgen. "The time is of the essence of the contract"; diese Standardklausel in Übernahmeverträgen englischen Musters1 ist ein allgemeiner Grundsatz aller Übernahmeverträge und darüber hinaus aller Emissionsverträge.

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Kapitel 6: Das Recht der internationalen Anleihen als internationales Recht

[...]

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§ 18: Probleme der Auslegung

[...]

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II. Auslegungsgrundsätze

[...]

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2. Methodische Auslegungsregeln

Aus den genannten Überlegungen folgen konkrete Anweisungen für die Auslegungsmethode. Zunächst ist zu beachten, daß die meisten vertraglichen Erklärungen im Zusammenhang mit internationalen Emissionsanleihen einseitig aufgestellt und von den anderen Beteiligten akzeptiert werden. Dies gilt sowohl für die Konsortialverträge als auch für die Anleihebedingungen sowie im Verhältnis zum Obligationär auch für die Bestimmungen der Anleiheorganisationsverträge; im geringeren Maße trifft es auch für Übernahmeverträge und die Bestimmungen des trust indenture im Verhältnis von trustee zum Emittenten zu. Der Wille des Erklärenden kann nur insoweit gelten, als er dem anderen Teil ohne weiteres erkennbar ist.28 Die einzelnen Bestimmungen sind primär aus dem Gesamtzusammenhang der ganzen Regelung auszulegen, wobei auch das mehrfach erwähnte Interesse an einer "self supporting" Regelung zu berücksichtigen ist.29 Schließlich ist auf die Verkehrsübung des Euro-Kapitalmarktes und die Verkehrsanschauung seiner Marktteilnehmer zu achten.30 Die Berücksichtigung der Usancen des jeweiligen Emissionsmarktes hatte bereits Unidroit gefordert;31 der Unterschied liegt darin, daß damit ein nationaler Markt gemeint war, während der Euro-Kapitalmarkt nicht mit dem Bereich einer bestimmten nationalen Rechtsordnung zusammenfällt. Damit ergibt sich zugleich der Vorrang der "inter-

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nationalen" Auslegung vor der Auslegung nach einem bestimmten nationalen Recht. Dieser Grundsatz ist besonders wichtig; seine Grenzen sind noch i. F. näher zu bezeichnen.32

510

§ 19 Internationales Recht der Emissionsanleihen

[...]

I. Theoretische Grundlagen

[...]

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3. Internationales Gewohnheitsrecht als Teil des transnationalen Wirtschaftsrechts
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[...]

b. Geltungsgrund und Geltungsweise im Verhältnis zum staatlichen Recht.

Vor einer solchen Erörterung, welche die vielfältigen Geltungsaspekte und Geltungsweisen des internationalen Gewohnheitsrechts beleuchtet, ist ein grundsätzlicher Hinweis auf den Geltungsgrund und die Geltungsweise dieses Rechts im Vergleich und im Verhältnis zu staatlichem Recht, insbesondere gesetztem Recht, geboten. Der primäre und eigentümliche Geltungsgrund von Gewohnheitsrecht kann per definitionem nicht in staatlicher Setzung

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oder auch nur Anerkennung gesucht werden.56 Existenz und Geltung von Gewohnheitsrecht sind in erster Linie empirisch-soziologisch zu ermitteln. Dies gilt auch hinsichtlich der Sanktionen, die ihrerseits nur ein Aspekt der Geltung sind. Man kann also nicht nur nach der tatsächlichen Beachtung des Gewohnheitsrechts fragen, sondern auch danach, ob es über eigene Sanktionen verfügt, im Falle internationalen Gewohnheitsrechts über Sanktionen, die nicht durch die nationalen Rechte bedingt und auf sie beschränkt sind (z. B. Tätigkeit von Schiedsgerichten, Marktspielregeln).

Man kann zweitens von der Geltung dieser empirisch festgestellten Regeln im Sinne einer Deutung ihrer Normativität durch Einordnung in ein gegebenes Normensystem (Normenbereich) sprechen.57 Hier bietet sich sogleich die Einordnung in ein nationales Recht an. Internationalem Gewohnheitsrecht ist jedoch primär eine internationale Betrachtung seiner Rechtsqualität angemessen. Dies führt uns auf die Einordnung in den postulierten eigenständigen Bereich transnationalen Wirtschaftsrechts zurück. Eine solche Einordnung kann nur dann ohne die Gefahr eines Zirkelschlusses über ein bloßes (vielleicht berechtigtes) Postulat hinausgelangen, wenn dieser Bereich internationalen Rechts materiell näher gekennzeichnet werden kann. Die Existenz von "general principles of law recognised by civilised nations" als allgemeine Rechtsüberzeugung der internationalen Gemeinschaft und damit als Grundlage allen internationalen Rechts ist kaum bestritten, andererseits aber ebensowenig ihre Lückenhaftigkeit und mangelnde Präzision. Gegenüber den daraus ableitbaren Einwänden ist jedoch erstens darauf hinzuweisen, daß eine Reihe von Rechtsgrundsätzen, die für den internationalen Wirtschaftsverkehr wichtig sind, bereits allgemeine Anerkennung genießen. Dazu zählt die "rule of law", d. h. die grundsätzliche Anerkennung der Rechtsförmigkeit des Verkehrs, die Anerkennung der Parteiautonomie bei Schuldverträgen, das Prinzip der Vertragstreue und die Anerkennung ausländischer juristischer Personen.58 Zweitens ist zu leugnen, daß die rechtliche Einordnung von Regeln ein bereits in jeder Hinsicht fertiges oder "geschlossenes", wie man verschiedentlich mißverständlicherweise sagt, System von Normen voraussetzt.59

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Drittens kann die Geltungsweise von internationalem Gewohnheitsrecht vom Standpunkt der verschiedenen staatlichen Rechte aus betrachtet werden. Die Staaten verfügen über wichtige, wenngleich nicht die einzigen Sanktionen zur Durchsetzung von Recht. Die Anerkennung internationalen Gewohnheitsrechts vom Standpunkt des nationalen Rechts aus und damit durch die staatlichen Gerichte ist daher für die praktische Geltung von großer Bedeutung. Wie bei allem Gewohnheitsrecht entscheidet über Voraussetzung und Umfang der Anerkennung das staatliche Recht selbst, im Bereich der kontinentaleuropäischen Rechte in der Regel das Gesetz.60 Es entscheidet zugleich über das Verhältnis von internationalem Gewohnheitsrecht und staatlichem Recht. Die allgemeine Kollisionsregel von transnationalem Wirtschaftsrecht und nationalem Recht wurde bereits genannt61: Das erstere ist mit Vorrang anzuwenden. Diese Regel ist vom Sinn und Selbstverständnis des transnationalen Wirtschaftsrechts aus formuliert; ihre Anwendung durch staatliche Rechtspflegeorgane hängt von dem jeweiligen staatlichen Recht ab.

Insgesamt kann also von Geltung eines internationalen Gewohnheitsrechts von drei Betrachtungsebenen aus gesprochen werden: erstens in empirisch soziologischer Hinsicht, zweitens im Rahmen eines internationalen Normenbereichs und drittens vom Standpunkt eines staatlichen Rechts und staatlicher Rechtspflege aus. Im Folgenden werden in erster Linie die beiden erstgenannten Betrachtungsweisen verwendet.62

1Beliebige Beispiele: Subscription Agreement v. 7. 2. 1969 mit Chrysler Overseas (s. § 4 N. 24), Art. 12; v. 12. 2. 1969 mit Tyco International Finance N. V. betr. 25 Mio. $ 1969/84 Art. 14. - Die Klausel bedeutet nach englischem Recht, daß bei Verletzung der Zeitbestimmung, insbes. Versäumung eines Termins, die betr. Partei nicht mehr specific performance verlangen kann; Chitty I, Nr. 1450.
28Ähnlich schon Unidroit, Avant-projet, Regel 3 Abs. 2, für die Anleihebedingungen: » . . . le juge devra rechercher le sens que l'emprunteur a voulu donner aux termes employés et que le porteur a pu raisonablement y attacher.« Zum Grundsatz der Auslegung contra proferentem im deutschen und amerikanischen Recht Lüderitz, §§ 14 und 15; allg. oben § 8 III 2 c.
29Ähnlich Unidroit, Avant-projet, Regel 3 Abs. 3: » Les clauses precitees doivent etre interpretees les unes par les autres en donnant à chacune le sens qui résulte de l'ensemble de l'acte.«
30Vgl. auch N. 17.
31Avant-projet a. a. O.; » Le juge doit tenir compte aussi des usages du marche sur lequel l'emission a lieu, en tant qu'ils peuvent modifier le sens usuel des mots.«
32Dazu i. F. 3.
56Eine solche Forderung liefe auf die Leugnung von Gewohnheitsrecht hinaus. Zutreffend bemerkt Allen a. a. O., S. 62: " . . . there is a difference between considering law as the creation of the sanctioning power and considering the sanctioning power as the creation of law."
57Der erstere Ausdruck ist gebräuchlicher, der zweite beigefügt, um klarzustellen, daß keine Aussage über die logische Struktur des Normbereichs beabsichtigt ist.
58Dazu Schmitthoff, Sources, S. 3; Wehberg, Pacta sunt servanda a. a. O.; Goldman, APD 9 (1964) 189.
59Goldman a. a. O.; methodisch übereinstimmend die völkerrechtliche Untersuchung von Schwarzenberger, Inductive Approach.
60Schmitthoff, a. a. O., unterscheidet daher die (internationale) Entstehungsquelle und die verschiedenen staatlichen Sanktionsquellen des internationalen law merchant. - Für Sonnenberger, Verkehrssitten S. 272, ist die staatliche Anerkennung allein maßgebliches Kriterium der Rechtsqualität.
61Vgl. § 17 IV 2.
62Die dritte Betrachtungsweise läuft allgemein auf die Rechtsvergleichung der Behandlung von Gewohnheitsrecht (und speziell Handelsgewohnheitsrecht) in den verschiedenen nationalen Rechten hinaus. Vgl. dazu auch Sonnenberger a. a. O., insbes. S. 11-58. - Auf grundsätzliche Gemeinsamkeiten wurde bereits oben (a) hingewiesen. Bei den einzelnen Problemen wird i. F. jeweils auch die Lit. zu den verschiedenen nationalen Rechten herangezogen.

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