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Seitz, Claudia, Unternehmensjuristen und das Anwaltsprivileg im europäischen Wettbewerbsverfahren - Wandel in der europäischen Rechtsprechung?, EuZW 2004, 231 et seq.

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Seitz, Claudia, Unternehmensjuristen und das Anwaltsprivileg im europäischen Wettbewerbsverfahren - Wandel in der europäischen Rechtsprechung?, EuZW 2004, 231 et seq.
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Unternehmensjuristen und das Anwaltsprivileg im europäischen Wettbewerbsverfahren - Wandel in der europäischen Rechtsprechung?

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IV. Notwendigkeit der Geltung des Anwaltsgeheimnisses für Unternehmensjuristen

Die neue Kartellverfahrensordnung Nr. 1/2003 17 , die am 1. 5. 2004 in Kraft treten und die bisherige Verordnung Nr. 17/6218 ablösen wird, sieht als zentrale Neuerung und Reformpunkt eine Dezentralisierung des europäischen Wettbewerbsrechts sowie den Wegfall des bisherigen "Freistellungsmonopols" der Kommission vor. Nach Art. 1 II der VO Nr. 1/2003 sind die von Art. 81 I EGV erfassten Vereinbarungen ohne vorherige Anmeldung und Entscheidung der Kommission freigestellt und damit automatisch wirksam, wenn sie die Voraussetzungen des Art. 81 III EGV erfüllen. Damit entfallt für die Unternehmen die Verpflichtung - aber auch die Möglichkeit - Verträge und Vereinbarungen, die einen im Hinblick auf das Kartellrecht unklaren oder kritischen Sachverhalt aufweisen, bei der Europäischen Kommission anzumelden. Dieser Wegfall des Anmeldeerfordernisses führt zwangsläufig zu einer Rechtsunsicherheit für die Unternehmen19. Konnten sie zuvor noch Verträge und Vereinbarungen bei der Kommission anmelden und hatten damit zumindest einen Schutz vor drohenden Sanktionen und Buߟgeldern seitens der Kommission, so muss die Beurteilung, ob eine Vereinbarung unter die Freistellungsmöglichkeit des Art. 81 III EGV fällt, von den Unternehmen nunmehr selbst vorgenommen werden20 . Bei dieser Aufgabe werden Unternehmen grundsätzlich auch durch ihre Rechtsabteilungen unterstützt. Wird jedoch ein Unternehmensjurist in diesem Zusammenhang tätig, so kann er sich derzeit auf Grund der geltenden Rechtsprechung nach dem AM&S-Urteil gegenüber der Kommission nicht auf den Schutz durch das Anwaltsprivileg berufen. Darüber hinaus kann im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Kommission wegen eines vermuteten Kartellverstoßes der interne Jurist auch als Zeuge befragt werden, da er sich nicht auf das Anwaltsprivileg und damit ein entsprechendes Auskunftsverweigerungsrecht berufen kann 21 . Ein solches Recht für Unternehmen besteht nach der bislang geltenden Rechtslage auf Grund der AM&S-Rechtsprechung nur hinsichtlich der zwischen ihnen und einem externen Rechtsanwalt geführten Korrespondenz, falls diese der Beratung oder der Verteidigung in einem Kartellverfahren diente22 . Darunter leiden die Vertrauensstellung und Funktion des internen Juristen innerhalb des Unternehmens23 .

17Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 L 1/1, im Internet veröffentlicht unter http://europa.eu.int/eur-Iex/pri/de/oj/dat/2003/l_001/l_00120030104de00010025.pdf. Vgl. zu der neuen Kartellverfahrenverordnung Nr. 1/2003 auch Bartosch, Von der Freistellung zur Legalausnahme - Was geschieht mit der Rechtssicherheit?, WuW 2000, 462ff.; ders., Von der Freistellung zur Legalausnahme: Der Vorschlag der EG-Kommission für eine " neue Verordnung Nr. 17", EuZW, 2001, 201ff.; Bechtold, Modernisierung des EG-Wettbewerbsrechts: Der Verordnungs-Entwurf der Kommission zur Umsetzung des Weiߟbuchs, BB 2000, 2425ff.; Dreher/Thomas, Rechts- und Tatsachenirrtümer unter der neuen VO 1/2003, WuW 2004, 8ff.; Hossenfelder, Die neue Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag, WuW 2003, I18ff.; Schulz, Zur Änderung des Kartellverfahrens gemäߟ Art 81 EGV, WuW 2000, 686ff.; Weitbrecht, Das neue EG-Kartellverfahrensrecht, EuZW 2003, 69ff.; ders., Europäisches Kartellrecht 2002, EuZW 2003, 357ff.; ders., Die neue Kartell Verfahrensverordnung (EG) Nr. 1/2003, NJW Beilage zu Heft 3/2003.
18Verordnung (EWG) Nr. 17/62 des Rates: Erste Durchführungsverordnung zu den Art. 85 und 86 des Vertrages (KartellVO), ABl. 1962 L 13/204, im Internet veröffentlicht unter http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg=de&numdoc=31962R0017&model=guichett.
19Zu dem Problem der entstehenden Rechtsunsicherheit vgl. Bartosch, WuW 2000, 462 (463); Dreher/Thomas, WuW 2004, 8/9ff.; Niggemann in Streinz, EUV/EGV, nach Art. 83 KartVO, Rdnr. 14.
20Dreher/Thomas, WuW 2004, 8 (12) folgern daher, dass ein Unternehmen unter der VO Nr. 1/2003 nicht mehr für einen VerstoÃß gegen die Art. 81, 82 EGV mit einem Bußgeld belegt werden könne, wenn es in eigener Verantwortung die relevanten Tatsachen und rechtlichen Aspekte des Falls mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln umfassend geprüft und infolgedessen im guten Glauben an die Rechtmäߟigkeit des Verhaltens gehandelt hat, da insofern ein Irrtum vorläge, der den Schuldvorwurf für die Buߟgeldverhängung entfallen ließe. Gleichwohl, so Dreher/Thomas, WuW 2004, 8 (13) Fuߟn. 31 m.w. Nachw., fordern zumindest deutsche Gerichte für eine Buߟgeldfreiheit die Konsultation eines im Kartellrecht erfahrenen unternehmensexternen Rechtsanwalt.
21Vgl. hierzu auch Eichler/PeiikerC, AnwBl 1989, 189ff.; Krück/Sauter in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 2 H.I § 3, Rdnrn. 6 t u. 72. Zu dem Zeugnisverweigerungsrecht des Syndikusanwalts nach § 53 StPO bei einem Kartellermittlungsverfahren nach dem GWB vgl. Klusmann in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 57, Rdnr. 34.
22Vgl. hierzu die Ausführungen unter Punkt II. sowie auch: Krück/Sauter in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 2, Stand April 2003, H.I § 3, Rdnr. 61 und 72; Hassemer, (o. Fußn. 1) wistra 1986, 1ff.; Schohe, Muss die Berufung auf Grundrechte zweckmäߟig sein? Zur Aussageverweigerung im europäischen Kartellrecht, NJW 2002, 492ff.
23Vgl. hierzu auch Hommerich/Prütting, Das Berufsbild des Syndikusanwalts, 1998, S. 137 und Bechtold, Die Stellung der Kommission und der Unternehmen im EG-Kartell verfahren vor der EG-Kommission, EuR 1992, 41, 51/52: "Je mehr ein Unternehmen bei der internen Diskussion auch kartellrechtlich relevanter Probleme damit rechnen muss, dass grundsätzlich alle internen Dokumente dem Zugriff der Kartellbehörden offen stehen, desto weniger offen und direkt kann das kartellrechtliche Problem angesprochen und vor einer kartellrechtlich unzulässigen Lösung intern gewarnt werden."

A project of CENTRAL, University of Cologne.