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Bälz, Kilian, Force Majeure im internationalen Wirtschaftsrecht - Lehren aus dem Arabischen Frühling, in: Festschrift Gerhard Wegen, Munich 2015 at page 355 et seq.

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Bälz, Kilian, Force Majeure im internationalen Wirtschaftsrecht - Lehren aus dem Arabischen Frühling, in: Festschrift Gerhard Wegen, Munich 2015 at page 355 et seq.
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[...]

II.

Höhere Gewalt und Leistungserschwerung im arabischen Recht

Die Zivilgesetzbücher von Ägypten, Libyen, Syrien und des Irak beruhen alle auf degleichen Muster. Vorbild ist das französische Recht. 8 Bei Fragen der Force Majeure unterscheiden die Zivilgesetzbücher zwischen Unmöglichkeit wegen höherer Gewalt und Leistungserschwerung wegen nicht vorhersehbarer Umstände. Von der Struktur her entspricht das dem deutschen Recht, das her die Regeln betreffend Unmöglichkeit (§ 275 [1] BGB) und Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 [1] BGB) zur Anwendung bringt.9

Die einschlägigen Bestimmungen des ägyptischen ZGB lauten

Art. 147 (2) -Außergewöhnliche Umstände [al-Hawiidith al-Istithnii'iyya]
Ereignen sich außergewöhnliche Ereignisse allgemeiner Art, die in ihrer Tragweite nicht vorhersehbar waren, und hat ihr Eintreten zur Folge, dass die Erfüllung der vertraglichen Obligation, ohne unmöglich zu werden, für den Schuldner erschwert ist, so dass ihm erhebliche Einbußen drohen, kann der Richter in Ansehung der Umstände und unter Berücksichtigung des Gleichgewichts des Interesses der Parteien die erschwerte Obligation auf ein erträgliches Maß zurückführen. Eine jede anderslautende Vereinbarung ist unwirksam.

Art. 373 - Höhere Gewalt [al-Quwwa al-Qiihira]
Die Obligation erlischt, wenn der Schuldner nachweist, dass ihm die Eifüllung unmöglich geworden ist auf Grund eines externen Grundes, den er nicht kontrollieren kann.10

Leistungsbefreiend ist damit nur die nachträgliche objektive Unmöglichkeit.11 Das setzt voraus, dass die Leistung auf Grund von Tatsachen, die nach Vertragsschluss eingetreten sind, von keiner anderen Partei mehr erbracht werden kann. Eine nur vorübergehende Unmöglichkeit soll nicht ausreichen.12 Beurteilungsmaßstab ist die "Normalperson" . Erforderlich ist des Weiteren, dass die Unmöglichkeit auf höhere Gewalt zurückzuführen ist (bzw., wie das Gesetz das formuliert, eine cause étrangère). Das ist der Fall, wenn die Ursache dem Einflussbereich des Schuldners entzogen ist und diese für ihn weder vorhersehbar war noch von ihm abgewendet werden kann.13

Die Vertragsanpassung wegen Leistungserschwerung beruht auf der französischen Doktrin der imprevision.14 Voraussetzung ist, dass bei einem Vertrag (i) außergewöhnliche

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Umstände allgemeiner Art eingetreten sind, die (ii) bei Vertragsschluss so nicht vorhersehbar waren und (iii) die Erfüllung des Vertrages erheblich erschweren (ohne sie dauerhaft unmöglich zu machen). In diesem Fall kann der Richter die vertraglichen Pflichten auf ein "erträgliches Maß" zurückzuführen. Der Richter kann dabei entweder die Leistungspflicht des Schuldners aussetzen oder reduzieren, oder aber die Gegenleistung erhöhen, um das vertragliche Gleichgewicht wiederherzustellen.15 Eine Leistungserschwerung hat nicht von Rechts wegen eine Befreiung des Schuldners zur Folge. Auch steht dem Schuldner kein Kündigungsrecht zu. Vielmehr handelt es sich um ein richterliches Gestaltungsrecht, das erlaubt, den Vertrag anzupassen.
Auf Grund der restriktiven Definition der Unmöglichkeit fallen viele, vielleicht sogar die meisten Force-Majeure-Fälle in die Rubrik der Leistungserschwerung. Das gilt gerade dann, wenn die Erfüllung eines Vertrages oder die Arbeit an einem Projekt vorübergehend ausgesetzt werden soll. In diesen Fällen ist zweifelhaft, ob eine dauerhafte Unmöglichkeit vorliegt. Liegt kein Fall der Unmöglichkeit vor, kann der Vertrag gleichwohl an geänderte Umstände angepasst werden. Das aber setzt eine richterliche Entscheidung voraus.

8Bälz ZEuP 2000, 51 ff. mwN. Bestimmungen der islamischen Scharia spielen in diesen Ländern in der wirtschaftsrechtlichen Praxis so gut wie keine Rolle. Anders ist das im Familien- und Erbrecht, das weiter auf islamischen Vorstellungen beruht.
9S.o. Fn 2.
10Sämtliche Übersetzungen aus dem Arabischen K.B.
11Sanhad, Al-Wasit fi Sharh al-Qanun al-Madani [Kommentar zum ZGB], 3. Auf!., bearb.
12Tulba, Kommentar zum ZGB.
13Sanhud, Kommentar zum ZGB, Bd. 1, S. 805; Tulba, Kommentar zum ZGB, Bd. 6, S. 71.
14Deren Anwendung im französischen Recht allerdings auf Verträge mit der öffentlichen Hand beschränkt war. In den arabischen Zivilrechtskodifikationen wure diese Doktrin zu einem allgemeinen Rechtsprinzip erhoben. Zur Entwicklung des französischen Rechts etwa Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3.Aufl., 1996, S. 525ff.
15Sanhûri, Kommentar zum ZGB, Bd. 1, S. 557 f.; Tulba, Kommentar zum ZGB, Bd. 3, S. 119.

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