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BGH, Urteil vom 11.10.1995, VIII ZR 25/94, NJW 1996, 773 et seq.

Title
BGH, Urteil vom 11.10.1995, VIII ZR 25/94, NJW 1996, 773 et seq.
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BGH: Salvatorische Klausel in Praxisübernahmevertrag NJW 1996, 773

BGB § 139

Zur Bedeutung einer salvatorischen Klausel in einem Vertrag über die Übertragung einer Arztpraxis
mit unwirksamer Verpflichtung zur Übertragung der Patientenkartei.

BGH, Urteil vom 11-10-1995 - VIII ZR 25/94 (Frankfurt a.M.)
 

Zum Sachverhalt:


Die Kl., eine Ärztin für Radiologie, betrieb eine radiologische Praxis in E., für die sie am 5. 12. 1989 von der
Kassenärztlichen Vereinigung die Genehmigung zum Betrieb eines Computertomographen erhielt. Ohne von
dieser Genehmigung Gebrauch gemacht zu haben, veräußerte sie mit Praxis-Übernahmevertrag vom 15. 1.
1991 ihre Praxis an die Bekl. Der Vertrag enthält u.a. folgende Bestimmungen:

§1. Vertragsgegenstand. (2) Die Praxisübernehmer erwerben von der Praxisübergeberin zum 1. 4. 1991
(Übergabestichtag)


a)

die in deren Praxis befindliche Praxiseinrichtung nebst Instrumenten und Material ...,

 

b)

den Patienten- und Überweiserstamm inklusive Patientenkartei, Krankenberichten und sonstigen
Aufzeichnungen über die Patienten, soweit diese nicht ausdrücklich widersprechen. Die Parteien gehen
davon aus, daß die Patienten mit dieser Übertragung einverstanden sind.


§ 2. Kaufpreis. (1) Als Kaufpreis wurde für die zu übergebende Praxis ein Betrag von 400000 DM festgelegt.

(2) Davon ist ein Teilbetrag von 250000 DM Zug um Zug mit Übergabe der Praxis und der Praxisräume am 1.
4. 1991, 0.00 Uhr fällig und zahlbar ...

(3) Der Restbetrag von 150000 DM ist zur Zahlung fällig, wenn und sobald die Frau Dr. S (Kl.) erteilte
Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung zum Betrieb eines CT bis zum 31. 3. 1992 auf Frau Dr. H
(Bekl. zu 2) lautet.

§ 16. Schlußbestimmungen. (1) Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertrages ganz oder teilweise ungültig
sein oder werden, so wird hiervon die Gültigkeit der anderen Vertragsteile nicht berührt. Die Vertragsparteien
verpflichten sich vielmehr, die ungültige Bestimmung durch eine gültige Regelung zu ersetzen, die dem
wirtschaftlichen Gehalt der ungültigen Bestimmung soweit wie möglich entspricht ...


Die Kl. teilte der Kassenärztlichen Vereinigung die Veräußerung der Praxis mit und erklärte sich damit
einverstanden, daß den Bekl. eine Genehmigung zum Betrieb eines Computertomographen erteilt werde. Die
Bekl. übernahmen vereinbarungsgemäß am 1. 4. 1991 die Praxis mit Einrichtung und Patientenkartei und
zahlten an die Kl. 250000 DM. Mit Bescheid vom 27. 9. 1991 wurde der Bekl. zu 2 auf ihren Antrag von der
Kassenärztlichen Vereinigung eine Standortgenehmigung für einen Computertomographen erteilt. Von den
Bekl. wird die Praxis nunmehr einschließlich des Computertomographen betrieben. Mit Schreiben vom 8. 10.
1991 forderte die Kl. die Bekl. unter Fristsetzung bis zum 21. 10. 1991 zur Zahlung des restlichen Kaufpreises
von 150000 DM auf. Die Bekl. zahlten daraufhin lediglich noch 50000 DM. Den Restbetrag von 100000 DM
nebst 11,25 % Zinsen seit dem 22. 10. 1991 hat die Kl. im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemacht.

Das LG hat der Klage mit Ausnahme eines Teils des Zinsanspruches stattgegeben. Gegen das Urteil haben die
Bekl. Berufung und die Kl. unselbständige Anschlußberufung eingelegt. Die Bekl. halten den PraxisÜbernahmevertrag
für nichtig, soweit er die Übergabe der Patientenkartei und der sonstigen patientenbezogenen Unterlagen betreffe.
Sie seien deshalb nicht verpflichtet, den Teil des Gesamtkaufpreises zu entrichten, der auf die Patientenkartei entfalle.
Bei der Vereinbarung des Gesamtkaufpreises von 400000 DM hätten die Parteien den Wert der Praxiseinrichtung mit
50000 DM und den ideellen Praxiswert mit 200000 DM veranschlagt. Von dem ideellen Praxiswert entfalle mindestens
die Hälfte auf die Patientenkartei. Insoweit haben die Bekl. “hilfsweise ... im Wege der Aufrechnung einen
Bereicherungsanspruch in Höhe von 100000 DM geltend” gemacht.

Das BerGer. hat die Berufung und die Anschlußberufung zurückgewiesen. Die Revision der Bekl. führte zur
Aufhebung und Zurückverweisung.

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Aus den Gründen:

 
I. Das BerGer. hat ausgeführt, der geltend gemachte Restkaufpreis sei nach § 2III des Praxisübernahme-
Vertrages fällig, nachdem der Bekl. von der Kassenärztlichen Vereinigung eine Genehmigung zum Betrieb eines
Computertomographen erteilt worden sei. Nach dem in dem Praxis-Übernahmevertrag zum Ausdruck
gekommenen Willen der Parteien habe Fälligkeit dann vorliegen sollen, wenn die Bekl. anstelle der Kl. über die
Genehmigung zum Betrieb eines Computertomographen verfügte. Daß keine Umschreibung, sondern eine
Neuerteilung der Genehmigung zugunsten der Bekl. erfolgt sei, sei nicht entscheidend.

Die Aufrechnung der Bekl. mit einem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung im Hinblick auf die
Übertragung der Patientenkartei und die übrigen patientenbezogenen Unterlagen sei so zu verstehen, daß die
Bekl. “gegenüber dem Zahlungsanspruch der Kl. einredeweise eine Bereicherung geltend machen” wollten. Die
Kl. werde durch die Zahlung des Restkaufpreises jedoch nicht ungerechtfertigt bereichert. Dabei könne
offenbleiben, ob die die Patientenunterlagen betreffende vertragliche Regelung in § 1 IIb des PraxisÜbernahmevertrages
gem. § 134 BGB i.V. mit § 203 StGB nichtig sei. Denn eine etwaige Nichtigkeit dieser Vertragsbestimmung wirke sich
wegen der von den Parteien in § 16 des Vertrages vereinbarten salvatorischen Klausel jedenfalls nicht auf den
ganzen Vertrag aus.
 Sie führe auch nicht zu einer Bereicherung der Kl., weil der von den Bekl. mit 100000 DM
angegebene Wert der Patientenkartei diesen durch die Nutzung der Kartei seit April 1991 bereits zugeflossen sei.


II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
1. Das BerGer. geht zu Recht davon aus, daß die in § 2 III des Praxis-Übernahmevertrages geregelten
Voraussetzungen für die Fälligkeit der zweiten und letzten Kaufpreisrate von 150000 DM seit Erteilung der
Genehmigung zum Betrieb eines Computertomographen an die Bekl. vorliegen. Insofern begegnet die
Auslegung des Vertrages durch das BerGer. aus revisionsrechtlicher Sicht keinen Bedenken und greift die
Revision das Urteil auch nicht an.

2. Soweit es jedoch die übrigen Voraussetzungen des Kaufpreisanspruchs bejaht, kann das Berufungsurteil mit
der gegebenen Begründung keinen Bestand haben.

a) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BGHZ116, 268 (272ff.) = NJW 1992, 737 = LM H.
11/1995 § 134 BGB Nr. 137; vgl. auch NJW 1995, 2026 = LM H. 11/1995 § 134 BGB Nr. 149 = ZIP 1995,
1016) verletzt eine Bestimmung in einem Vertrag über die Veräußerung einer Arztpraxis, die den Veräußerer
auch ohne Einwilligung der betroffenen Patienten verpflichtet, die Patienten- und Beratungskartei zu
übergeben, das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Patienten und die ärztliche Schweigepflicht (Art. 2I
GG, § 203 StGB). Bereits der Verstoß gegen den objektiven Tatbestand des § 203I Nr. 1 StGB hat gem. § 134
BGB die zivilrechtliche Sanktion der Nichtigkeit sowohl des Erfüllungsgeschäfts, der Übergabe der Kartei, als
auch des zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäfts zur Folge. Die Annahme einer mutmaßlichen oder
stillschweigend erklärten Einwilligung scheidet im Regelfall aus, wenn nicht der Patient seine Zustimmung
durch schlüssiges Verhalten, insbesondere dadurch, daß er sich dem Übernehmer zur ärztlichen Behandlung
anvertraut, eindeutig zum Ausdruck bringt. Es ist nicht Sache des Patienten, der Weitergabe zu widersprechen,
um den Eindruck eines stillschweigenden Einverständnisses zu vermeiden.

Danach ist § 1 IIb des zwischen den Parteien geschlossenen Praxis-Übernahmevertrages gem. § 134 BGB
nichtig, weil er die Kl. - in der Annahme eines nur mutmaßlichen Einverständnisses der Betroffenen - auch zur
Übergabe der Unterlagen solcher Patienten verpflichtet, die der Weitergabe zwar nicht widersprochen, ihr aber
weder ausdrücklich noch durch Aufnahme einer Behandlung bei den Bekl. konkludent zugestimmt haben.

b) Entgegen der Ansicht des BerGer. kann die Nichtigkeit von § 1 IIb des Vertrags die - zumindest teilweise -
Unwirksamkeit der Kaufpreisvereinbarung in § 2 des Vertrags zur Folge haben.

aa) Zwar enthält der Vertrag in § 16 I eine salvatorische Klausel, nach der die Unwirksamkeit einzelner
Bestimmungen die Wirksamkeit des Vertrages im übrigen nicht berührt und die Parteien verpflichtet sind, die
ungültige Bestimmung durch eine dieser wirtschaftlich soweit wie möglich entsprechende gültige Regelung zu
ersetzen. Durch eine solche Klausel kann § 139 BGB zulässig abbedungen werden (BGH, NJW-RR 1989, 800
(unter II 2b); NJW 1992, 2696 = LM H. 3/1993 § 230 HGB Nr. 3 = WM 1992, 1576 (1578 unter 3a); NJW
1994, 1651 = LM H. 7/1994 § 139 BGB Nr. 81 = WM 1994, 1035 (unter II 3b)), ohne daß indes in allen Fällen
ausgeschlossen ist, daß die Nichtigkeit einer einzelnen Bestimmung weitere Vertragsbestimmungen oder den
gesamten Vertrag erfaßt.


Gesamtnichtigkeit folgt hier allerdings entgegen der Ansicht der Revision nicht schon aus einer objektiven
Unteilbarkeit des Vertrages. Denn auch ohne die Verpflichtung der Kl. zur Übertragung der Patientenkartei
verbleibt eine vertragliche Regelung, die einschließlich der Fälligkeitsregelung in § 2 II des Vertrages
selbständig vereinbart werden und deshalb auch isoliert fortgelten könnte. Jedoch kann die Vertragsauslegung
ergeben, daß die Aufrechterhaltung des Restgeschäfts im Einzelfall trotz der salvatorischen Klausel von dem
Parteiwillen nicht mehr gedeckt ist. Die salvatorische Klausel verkehrt lediglich die Vermutung des § 139 BGB
in ihr Gegenteil (OLG Hamm, GRUR 1980, 183 (185); OLG Stuttgart, ZIP 1989, 60 (unter A II 1); Flume, Allg.
Teil des Bürgerlichen Rechts II, Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., § 32 unter 3; Peter Ulmer, in: Festschr. f.
Steindorff, 1990, S. 799 (805)). Die Darlegungs- und Beweislast für diejenigen Umstände, die eine über die
Nichtigkeit einer einzelnen Bestimmung hinausgehende Nichtigkeit weiterer Vertragsbestimmungen oder des
gesamten Vertrages begründen, trifft denjenigen, der sich darauf beruft.

bb) Die Revision rügt zu Recht, daß das BerGer. die danach gebotene Auslegung des Vertrages nicht
vorgenommen und keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob es sich bei § 1 IIb des Vertrags, soweit er die
Patientenkartei betrifft, um eine “einzelne Bestimmung" i.S. von § 16 I handelt. Gesamtnichtigkeit trotz
salvatorischer Klausel kommt insbesondere in Betracht, wenn nicht nur eine Nebenabrede (BGH, NJW 1994,
1651 = LM H. 7/1994 § 139 BGB Nr. 81), sondern eine wesentliche Vertragsbestimmung unwirksam ist und
durch die Teilnichtigkeit der Gesamtcharakter des Vertrages verändert würde (BGH, WM 1976, 1027 (unter II
2); Beyer, Salvatorische Klauseln, 1988, S. 53ff.).
Dies ist nach dem Vortrag der Bekl., der für die
Revisionsinstanz zugrunde zu legen ist, der Fall.

Die Bekl. haben behauptet und unter Beweis gestellt, nach dem Willen der Parteien sei ein Teilbetrag von
200000 DM für den ideellen Praxiswert vereinbart worden, von dem mindestens 100000 DM auf die
Patientenkartei entfielen. Danach ist die Verpflichtung der Kl. zur Weitergabe der Patientenkartei in das
synallagmatische Verhältnis zwischen der Gesamtverpflichtung der Kl. zur Übergabe der Praxis und der
Verpflichtung der Bekl. zur Zahlung des Kaufpreises einbezogen und nicht eine außerhalb des
Gegenseitigkeitsverhältnisses stehende einseitige (Neben-)Verpflichtung der Kl. Ein solcher gegenseitiger
Vertrag verliert seinen Charakter als Austauschvertrag, wenn die Leistungspflichten der beiden Teile in der
Weise getrennt und verselbständigt werden, daß im Fall der teilweisen oder vollständigen Nichtigkeit der einen
die andere als - mindestens teilweise - einseitige Verpflichtung übrig bleibt (Larenz, BGB AT, 7. Aufl., § 23 IIb).
Unter Wahrung seines Austauschcharakters kann er nur dergestalt in einen gültigen und einen ungültigen Teil
aufgespalten werden, daß sowohl Leistung wie Gegenleistung geteilt werden. Das setzt voraus, daß nach dem
Willen der Parteien eine Aufschlüsselung der Gegenleistung auf die verschiedenen Teile der Leistung der
anderen Seite möglich ist (vgl. BGH, LM § 139 BGB Nr. 13; Mayer-Maly, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 139 Rdnr.
22; Flume, § 32 2d).

cc) Der (Teil-)Nichtigkeit von § 2 des Vertrages als Folge der Nichtigkeit von § 1 IIb steht nicht entgegen, daß
die Parteien sich in § 16 I 2 verpflichtet haben, eine nichtige Bestimmung durch eine wirtschaftlich
gleichwertige gültige Regelung zu ersetzen. Solange von den Parteien eine Ersatzvereinbarung nicht getroffen
worden ist, wozu sie nichts vorgetragen haben, kann durch eine solche rein obligatorische Ersetzungsklausel
der Eintritt der Nichtigkeitsfolgen weder verhindert noch kompensiert werden.


III. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil weitere Feststellungen dazu erforderlich sind, ob
und in welcher Höhe der Kauf-
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preis nach dem Willen der Parteien als Gegenleistung für die Übergabe der Patientenkartei anzusehen ist.
Die Sache war deshalb an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Sollte das BerGer. aufgrund der erneuten
Verhandlung zu dem Ergebnis kommen, daß der Patientenkartei ein bestimmter Teil des Kaufpreises
zuzuordnen und § 2 I des Vertrages deshalb in diesem Umfang teilweise nichtig ist, so wird zu prüfen sein, ob
die Klageforderung wegen rechtsgrundloser Übertragung der Patientenkartei aus § 812I 1 Alt. 1 BGB i.V. mit §
818I Alt. 1 BGB und/oder § 818II BGB gerechtfertigt ist. Ergibt die erneute Verhandlung dagegen, daß § 2 des
Vertrages insgesamt nichtig ist, weil der Kaufpreis nach dem Willen der Parteien zwar Gegenleistung für die
Übertragung der Patientenkartei sein sollte, aber eine Aufschlüsselung des Kaufpreises auf die verschiedenen
Teile der Leistung nicht möglich ist, so muß eine Rückabwicklung des gesamten Vertrages erfolgen, in deren
Rahmen ebenfalls zu prüfen ist, ob ein Bereicherungsanspruch wegen rechtsgrundloser Nutzung der Arztpraxis
einschließlich der Patientenkartei besteht.

N.



Anm. d. Schriftltg.:
Zu der zitierten Entscheidung BGH, NJW 1995, 2026 vgl. auch die Anm. Lauda, LM H. 11/1995 § 134 BGB Nr.
149.
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